Laudatio mit Gänsehautgefühlen

Feier zur Verleihung des Göttinger Zivilcouragepreises in der Halle des Alten Rathauses in Göttingen

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Die letzte Frage der Moderatorin brachte die 18-jährige Schülerin Kaj Roberta Schulz denn doch etwas in Verlegenheit. „Frau Schulz, was wollen Sie denn mit dem Preisgeld nun machen?“, forschte Jacqueline Emmermann, Polizeihaupt­kommissarin und souverän auftretende Moderatorin des Festakts zur Verleihung des Göttinger Zivilcouragepreises 2017 im Alten Rathaus. „Oh je, das weiß ich gar nicht. Ich wusste ja gar nicht, dass ich hier heute etwas gewinnen würde.“ Nach einer kleinen Kunstpause hatte sich Kaj Roberta Schulz dann aber doch wieder gefangen. „Ich werde wohl ein bisschen sparen … und natürlich ordentlich shoppen gehen“. Lachen und kräftiger Beifall bei den einhundert Gästen in der historischen Halle des Rathauses.

Mit immerhin eintausend Euro war der erste Preis dotiert, den Kaj Roberta Schulz an diesem Abend gewann. Gemeinsam mit dem Präventionsverein komm.pakt der Stadt Göttingen und dem Lions Club Bettina von Arnim sowie der Stadt Göttingen hatte die Bürgerstiftung den Preis zum fünften Mal seit 2013 ausgeschrieben.

Auf einer Busfahrt innerhalb des Stadtgebiets von der Schule nach Hause im April 2016 hatte Kaj Roberta Schulz beherzt eingegriffen, als drei Jugendliche eine Mitschülerin belästigten. Obwohl der Bus voll besetzt war, griffen andere Fahrgäste nicht ein. Kaj Roberta Schulz forderte die Jugendlichen auf, mit den Pöbeleien aufzuhören. Daraufhin wurde sie selbst beschimpft, und massiv bedroht. Als sie aus dem Bus ausstieg folgten ihr die drei Jugendlichen und verletzten sie auf dem Bürgersteig mit Tritten gegen Kopf und Körper. Die Täter wurden gefasst. Jetzt, eineinhalb Jahre danach, so berichtete Kaj Roberta Schulz, denke sie nicht jeden Tag an den Vorfall zurück – den Bus nutze sie seitdem aber nur, wenn kein anderes Verkehrsmittel zu Verfügung stehe.

Als Laudator beschrieb Michael Neugebauer, Geschäftsführer der Göttinger Verkehrsbetriebe, wie ein solcher Vorfall innerhalb des Unternehmens kommuniziert werde – nämlich knapp und ganz sachlich. Neugebauer: „Wenn man sich aber intensiv mit den Hintergründen eines solchen Falles ausführlich befasst, wird deutlich, wie viel Zivilcourage erforderlich ist, um sich so zu verhalten, wie es die Schülerin Kaj Roberta Schulz gemacht hat. Dafür gebührt ihr unsere Anerkennung und unser Respekt.“

Den zweiten Preis mit jeweils 500 Euro Preisgeld teilen sich zwei Retter: Der Dachdecker Julian Burgmann aus Dassel fuhr im September 2017 frühmorgens auf der Autobahn 7 in Richtung Süden, als er auf der Werratalbrücke einen Mann an der Brüstung stehen sah. Sofort hielt er auf dem Standstreifen an, näherte sich der Person, die offensichtlich von der Brücke springen wollte und sprach beruhigend auf sie ein. So konnte Burgmann den Mann schließlich retten und zurück über das Geländer ziehen. In einer beeindruckenden, bei vielen Besuchern der Feier im Alten Rathaus Gänsehautgefühle auslösenden Laudatio beschrieb Stadtrat Siegfried Lieske die näheren Umstände der Rettungstat und der darauf folgenden Wochen.

Die 66-jährige Elionore Herken wollte mit dem ICE in den Urlaub fahren, als plötzlich ein Betrunkener in das Gleisbett stürzte und bewusstlos liegen blieb. Obwohl mehrere Gäste am Bahnsteig warteten, war sie zunächst die einzige, die auf die Gleise sprang und versuchte, den Mann zu retten. Erst mit Hilfe eines weiteren Fahrgastes vom gegenüberliegen Bahnsteig gelang die Rettung schließlich, wenige Sekunden, bevor der ICE in den Bahnhof einfuhr. Michaela Bibrach-Brandes, Präsidentin des Lions Club Bettina von Arnim, hob in ihrer Laudatio den Mut hervor, den Elionore Herken an diesem Tag auf dem Göttinger Bahnhof bewiesen habe. Sie habe rasch und umsichtig gehandelt – auch in dem Wissen, dass bald der nächste ICE in den Bahnhof einfahren würde.

Weitere Preise gingen an Alexander Hillgert und Marius-George Ghiuri, die im März zwei Frauen bei einem Wohnungsbrand in Hann. Münden retteten. Sie traten die Tür ein und gelangten so in die brennende Wohnung.

Marc Sieck aus Adelebsen wurde ebenfalls gewürdigt: Er bewahrte einer jungen Frau das Leben, nachdem deren Wagen nach einem Verkehrsunfall auf der Autobahn 7 auf einem Feld brannte. Siecks Einsatz kam gerade noch rechtzeitig: Er schnitt den Sicherheitsgurt durch und zog die Frau aus dem Wrack. Wenig später hatte das gesamte Auto mitsamt der Eingeklemmten in Flammen gestanden. Sieck und dessen Lebensgefährtin haben noch heute Kontakt zu der jungen Frau.

Der 16-jährige Jan Spangenberg aus Gimte (Stadt Hann. Münden) rettete einer Freundin das Leben, als diese von Bekannten unterkühlt und betrunken alleine im Wald zurückgelassen wurde. Erst durch seine Nachforschungen fand er sie, bevor sie an Unterkühlung gestorben wäre.

Auch Sebastian Bornmann schritt in Staufenberg beherzt ein, als ein Unternehmer Opfer eines Raubüberfalls wurde. Er schlug den Täter in die Flucht.

Den Festvortrag hielt Susanne Wolter, Geschäftsführerin des Landespräventionsrates, über das Thema „Zivilcourage braucht demokratische Persönlichkeiten“. Göttingen sei die heimliche Hauptstadt der Zivilcourage in Niedersachsen. In der Jury des Zivilcouragepreises sind der Präventionsverein komm.pakt, die Stadt Göttingen, die Bürgerstiftung Göttingen sowie die Polizeidirektion, der Weiße Ring e.V., der Lions Club Bettina von Arnim und die Stadtwerke Göttingen vertreten.